Kleinöhrchen und die Ostereier

Auf einem Bauernhof, der ganz versteckt hinter einem großen Wald lag, wartete der schöne Hahn, Herr Gockel, auf seinen Freund den Osterhasen Hoppel. Jedes Jahr um die gleiche Zeit kam der Osterhase Hoppel zu Herrn Gockel, um alle seine Ostereier zu kaufen.

„Herr Gockel, Herr Gockel“, rief gackernd eine schnell herbei rennende Henne, „ein Auto mit Anhänger ist in unseren Hof gefahren und ein Mann mit ganz langen Ohren und einem ganz dicken Bauch ist ausgestiegen. Er hat gesagt ich soll eilig den Herrn des Hofes holen.“ „Ist schon gut, braune Henne“, erwiderte Herr Gockel, „das ist mein langjähriger Freund, der Osterhase, er will seine Eier bei uns kaufen.“ 
Schnell eilte Herr Gockel seinem Freund entgegen. Herzlich begrüßten und umarmten sich die Beiden. „Ich habe leider nicht viel Zeit. Es ist schon kurz vor Ostern und meine Hasenkinder müssen noch alle Eier bemalen“, sagte Herr Hoppel. „Ich brauche viele Eier“, stöhnte der Hase, „am besten ist es, wenn wir den ganzen Anhänger volladen.“ 

Herr Gockel rief seine Hennen zusammen – die Weißen, die Braunen und die Gelben. Sie alle mussten den Anhänger des Osterhasen mit Eiern beladen. Herr Hoppel bezahlte dem Hahn die Eier, bedankte sich bei seinem Freund, setzte sich in sein Auto und machte sich auf den Heimweg.

Als er auf die Waldstraße hinausfuhr wurde es schon dunkel. Plötzlich hörte er eine Stimme. „Was war das?“, dachte er. Und wieder hörte er das Rufen: „Hilfe, Hilfe! Vater, Vater!“ Herr Hoppel erschrak fürchterlich. „Das ist doch die Stimme von meinem Sohn, dem Kleinöhrchen“, dachte er. Schnell stieg er aus seinem Auto aus und eilte dem Hilferuf nach. Als er dachte schon ganz nah bei ihm zu sein, hörte er die Schreie seines Sohnes wieder aus einer ganz anderen Richtung. Müde und schwach von der Suche, setzte sich Herr Hoppel auf einen abgehackten Baum. „Kleinöhrchen, wo soll ich dich noch suchen?“, jammerte er. Da es aber schon so finster war und man nichts mehr sehen konnte ging er zurück zu seinem Auto. 

Doch, oh Schreck, das Auto war nicht mehr da. Herr Hoppel schaute nach rechts und links. Nichts! Das Auto war verschwunden. „Wo sind meine Eier?“, rief der Hase, „wer hat meine Eier gestohlen?“ 
Hilflos schaute er in die dunkle Nacht und machte sich traurig zu Fuß auf den Heimweg. Spät in der Nacht kam er müde zu Hause an. „Ist Kleinöhrchen da?“, rief er aufgeregt seiner Frau entgegen. „Nein“, sagte sie, „was ist mit ihm?“ Herr Hoppel erzählte die Geschichte seiner Frau und seinen zehn Hasenkindern und sofort machten sich alle auf die Suche nach Kleinöhrchen. Aber wo sollten sie suchen?

Sie wussten ja nicht, dass Kleinöhrchen gleich nach Vaters Abfahrt in großen Sprüngen hinter ihm her gerannt war und mitfahren wollte. Doch im tiefen Wald hatte er die Spur von Vaters Auto verloren und irrte kreuz und quer im Wald herum. 
Als er an einem Bach etwas trinken wollte, packte ihn plötzlich jemand von hinten am Rücken und trug ihn fort. „Lass mich los, lass mich los! Hilfe, Hilfe! Vater, Vater!“ rief der kleine Hase. 
Es war der alte Fuchs, der ihn gepackt hatte. Kleinöhrchen hatte fürchterliche Angst und zitterte und rief weiter nach seinem Vater. Diese Hilferufe hörte Herr Hoppel, als er mit seinem Auto nach Hause fuhr. Aber der Fuchs war schneller. Er schleppte Kleinöhrchen immer tiefer und tiefer in den Wald hinein. 
„Das wird ein Leckerbissen für meine Familie“, dachte der alte Fuchs. Als er in seiner Höhle ankam, gab er Kleinöhrchen seinen Fuchskindern. „Hier habt ihr einen Spielgefährten! Wir werden ihn füttern bis er dick und rund ist und ihn dann als Leckerbissen verzehren“, sagte der alte Fuchs lachend und voller Freude. Dann machte er sich erneut auf den Weg um das Auto mit den Eiern zu klauen, das er verlassen am Wegrand hatte stehen sehen. „Heute ist mein Glückstag“, dachte der Fuchs, „einen Hasen und ein Auto voller Eier habe ich nach Hause gebracht“.

Als die kleinen Füchse sahen, dass Kleinöhrchen ganz ängstlich war und ihnen nichts wegnahm, ärgerten sie ihn nicht und begannen sogar mit ihm zu spielen. 
Aber Kleinöhrchen hatte nur einen Gedanken. Er wollte wieder nach Hause. So überlegte er und überlegte und plötzlich hatte er einen Plan… 

„Schau mal Kleinöhrchen, wie hoch ich springen kann!“, rief ein kleines Füchslein und es sprang so hoch, dass es die Blätter vom Baum schnappen konnte. „Das kann ich auch“, sagte Kleinöhrchen, „aber ich kann etwas, was ihr alle nicht könnt. Ich kann ein Auto fahren! Seid ihr überhaupt schon mal in einem Auto gefahren?“ „Nein“, antworteten alle Fuchskinder neugierig. „Du musst uns zeigen wie das geht“, rief ein Fuchskind. „Ich würde es euch ja zeigen, aber woher sollen wir ein Auto nehmen?“ fragte Kleinöhrchen. Da riefen die Füchslein durcheinander: „Oh, wir haben ein Auto. 
Gestern Nacht hat unser Vater ein Auto mit nach Hause gebracht. Mit ganz vielen Eiern drauf.“ „Wo ist der Wagen?“, fragte der kleine Hase und dachte an seinen Plan. „Komm, komm, wir führen dich zu dem Auto“, sagten die Fuchskinder ganz aufgeregt. Kleinöhrchen rannte hinter den Füchslein her und tatsächlich stand hinter einem Baum ein Auto. Kleinöhrchen sah sofort, dass es das Auto seines Vaters war mit den Eiern darauf. Das muß der Fuchs auch geklaut haben, dachte Kleinöhrchen.  „Schnell, springt alle auf“, rief er „ich fahre euch spazieren“. 
Alle Füchse setzten sich in das Auto und los ging die Fahrt. Kleinöhrchen fuhr so schnell er konnte durch den Wald und kreuz und quer über die Felder bis er zu Hause bei Vater und Mutter ankam. „Aussteigen!“, rief er. Die Füchse wussten gar nicht warum sie aussteigen sollten und wo sie waren. „Nein“, riefen die Füchse, „fahr uns wieder nach Hause.“ Kleinöhrchen lachte und erklärte den Füchsen, dass er hier zu Hause sei, dass der Osterhase sein Vater wäre und dass das Auto mit den Eiern seinem Vater gehöre. 
Kleinöhrchen suchte sich den größten der Fuchskinder heraus und sagte mit lauter Stimme zu ihm: „Euer Vater hat das Auto von meinem Vater gestohlen und deshalb läufst du jetzt nach Hause und berichtest deinem Vater, dem Fuchs, dass deine Geschwister solange bei uns bleiben müssen, bis er uns einen Lastwagen voller großer Ostereier bringt. Er hat einen Tag Zeit und nicht länger. 
Beeile dich!“ Voller Angst rannte der Fuchs sofort los!Kleinöhrchen war zufrieden. Sein Plan hatte geklappt. 

Schnell rannte er zur Haustüre und holte Mutter und Vater und seine zehn Geschwister heraus. Welch eine Freude hatten sie alle, dass Kleinöhrchen wieder da war. Und wie stolz waren sie auf ihn, dass er sogar das Auto mit allen Eiern mitgebracht hatte. Die Füchse kamen in den Keller und die Hasenfamilie feierte ein großes Fest und freute sich über die Rückkehr des kleinen Hasen. 

Als der Tag zu Ende ging und die Hasenfamilie immer noch feierte und zusammen saß, hörten sie plötzlich ein lautes Rattern. Kleinöhrchen rannte zum Fenster, fing vor Freude an zu hüpfen und rief: „Er kommt! Der alte Fuchs kommt mit einem Lastwagen voller Eier. Schnell, kommt alle mit nach draußen und holt die kleinen Füchse aus dem Keller!“ Der Plan des kleinen Hasen ging auf. Der alte Fuchs brachte die gewünschten Eier und verschwand dann mit seinen Fuchskindern ganz schnell wieder im Wald und ließ sich nie mehr sehen.

Hase Hoppel und seine Kinder machten sich sofort an die Arbeit. Sie bemalten alle Eier und versteckten sie hinter Büschen und Bäumen. 

Als am Ostersonntag die Kinder auf Ostereiersuche gingen, war die Freude riesengroß. So viele schöne und große Eier hatten sie noch nie gefunden wie in diesem Jahr. 

„Überlieferte Erzählung einer Großmutter“