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Scooter als Spielzeug gesehen und nicht als Verkehrsmittel

Eine Analyse von Stella Hombach
6-7 Minuten

Seit die Elektroroller auf dem Markt sind, kommt es immer wieder zu Unfällen. Zu oft werden die Scooter als Spielzeug gesehen und nicht als Verkehrsmittel.

Es war der erste Sommer mit E-Tretrollern in Deutschland. Seit Mitte Juni sind sie in Deutschland zugelassen. Seither vergeht kaum eine Woche ohne Berichte über Unfälle. Wie neulich in Bonn, als ein junger Rollerfahrer mit einem Taxi zusammenstieß und mit einer Kopfverletzung ins Krankenhaus kam. Oder kürzlich in Frankfurt, als zwei Frauen auf ihrem Roller durch die Stadt fuhren und in einer Straßenbahnschiene hängen blieben. Beide stürzten und trugen Verletzungen davon. In Berlin fiel vor wenigen Tagen eine ältere Frau über einen herumliegenden E-Roller und kam mit schweren Armverletzungen ins Krankenhaus.

Sind das nur Einzelfälle oder sind die elektronischen Roller im Straßenverkehr ein übergr`çÙ\Èš\ÚZÛÏÈYH[Ûܝ\˜]YˆHš[™@n ist nicht einfach. Wie viele Unfälle es genau mit dem neuen Kleinfahrzeug gegeben hat, wird in der amtlichen Unfallstatistik bislang noch nicht erfasst. Dafür sind die E-Scooter noch zu neu. Die Bundesländer jedoch zählen die Unfälle. So gab es in Bayern zwischen dem 27. Juni 2019 und 31. August 2019 insgesamt 38 Verkehrsunfälle, an denen E-Scooter beteiligt waren, in Nordrhein-Westfahlen waren es in einem ähnlichen Zeitraum 54 Unfälle und in Berlin registrierte die Polizei in den ersten drei Monaten seit der Einführung 74 Unfälle mit davon 16 Schwer- und 43 Leichtverletzten.

Friedrich Jahn, Chefarzt der Unfallchirurgie der Evangelischen Elisabeth Klinik in Berlin, schätzt sogar, dass es in Wahrheit noch weit mehr sind. Denn seitdem die E-Scooter in der Hauptstadt auf den Straßen sind, hat er nahezu täglich mit Menschen zu tun, die sich dadurch verletzt haben. „Nur wird halt nicht jeder dieser Unfälle angezeigt“, sagt Jahn. Dass es bei E-Roller-Unfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, bestätigt auch eine Analyse des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb). Um herauszufinden, wie aussagekräftig die Daten der Polizei sind, haben die Journalisten und Journalistinnen vom RBB in verschiedenen Berliner Krankenhäusern nachgefragt. Und obwohl ihnen nicht alle antworteten, kam am Ende eine deutlich höhere Zahl heraus: Vom 20. Juni bis 15. Juli 2019 meldete die Polizei 21 E-Scooter-Verkehrsunfälle mit vier Schwer- und 15 Leichtverletzten. Die Nachfragen bei den Kliniken ergaben hingegen mindestens 40 Verletzte ­also fast doppelt so viele.

Fünf Todesfälle in Paris in einem Jahr

All diese Zahlen nützen jedoch nichts, wenn man sie nicht ins Verhältnis setzt. Das rbb-Team hat die Rate der in Berlin gefahrenen Kilometer deshalb mit denen von Fahrrädern verglichen, und errechnet, mit welchem der Fahrzeuge mehr Unfälle passierten. Das Ergebnis: Pro gefahrenen Kilometer ist es tatsächlich rund sechsmal wahrscheinlicher, dass ein E-Scooter-Fahrer einen Unfall erleidet als ein Fahrradfahrer. Bei dieser Rechnung handelt es sich jedoch um eine Hochrechnung, die auch auf Schätzungen beruht ­und wie gesagt: Die Zahlen zu den E-Scooter-Unfällen gehen auseinander. Dazu darf man nicht vergessen, dass die Elektroroller in Deutschland gerade mal ein paar Monate auf dem Markt sind. Das heißt, die Menschen hierzulande müssen mitunter erst noch lernen, sie richtig zu bedienen.

Hier könnte ein Blick ins Ausland helfen, wo die elektrischen Roller meist schon länger Teil des Straßenverkehrs sind. Nur werden auch dort die Unfälle mit E-Scootern nicht statistisch separat erfasst, wie beispielsweise das Bundesministerium für Inneres in Österreich mitteilt. Laut der Tageszeitung Le Parisien, die sich auf offizielle französische Verkehrssicherheitsdaten bezieht, wurden im Jahr 2017 in Paris zwar 284 Menschen bei Unfällen mit den elektrischen Rollern verletzt und fünf getötet. Die Zahlen beziehen sich allerdings nicht nur auf Fahrten mit E-Scootern, sondern auch auf solche mit Rollschuhen. Zudem werden sie weder zur Anzahl der E-Scooter noch zu der von Fahrradunfällen in Vergleich gesetzt.

Im US-amerikanischen Portland wurde die Einführung der E-Scooter im Jahr 2018 vom Portland Bureau of Transportation (PBOT) wissenschaftlich begleitet. Dabei wurde auch analysiert, wie gefährlich sie im Straßenverkehr sind. Doch selbst bei dieser umfassenden Studie bleibt der Vergleich ungenau: Zwar konnten die Studienautoren und -autorinnen ermitteln, dass Verletzungen mit E-Scootern (176) insgesamt seltener vorkamen als solche mit Fahrrädern (429). Nur wurde auch bei dieser Analyse nicht berücksichtigt, wie die Anzahl von E-Scootern und Fahrrädern im Verhältnis zueinandersteht und wie viel mit den jeweiligen Kleinfahrzeugen gefahren wurde.

E-Tretroller: Unfälle sind oft auf Alkohol zurückzuführen

Einfacher zu beantworten ist die Frage nach den Unfallursachen. Platz eins der Liste ist offenbar Alkohol: So handelte es sich bei 65 der 87 Strafermittlungsverfahren, die die Berliner Polizei bis zum 16. September 2019 gegen Nutzerinnen und Nutzer von E-Scootern einleitete, um Fälle wegen Trunkenheit. Denn was viele nicht wissen: Auch bei E-Scooter-Touren gilt die 0,5-Promille-Grenze. Dazu kamen Unachtsamkeit beim Fahren und eine unzulässige Gehwegnutzung. Das könnte unter anderem daran liegen, dass E-Scooter häufig von Touristen und Touristinnen oder zu sogenannten „Spaßfahrten“ ausgeliehen werden, also von Menschen, die die Kleinfahrtzeuge nur ausprobieren wollen, sagt Caroline von Stülpnagel vom Beratungsunternehmen civity.

Darauf deuten zumindest die bundesweiten Bewegungsdaten der E-Scooter hin, die sie und ihre Kollegen erhoben haben. Das Ergebnis: Benutzt werden die elektrischen Roller vor allem abends, am Wochenende sowie in der Nähe von Sehenswürdigkeiten. Und eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov bestätigt: Über die Hälfte (53 Prozent) der dort über 7.000 Befragten sieht in den Elektrorollern vor allem „ein Fortbewegungsmittel zum Vergnügen“. Das Problem dabei: „Wer E-Scooter nur zum Spaß oder Sightseeing nutzt, hat häufig keine Übung, achtet mehr aufs Brandenburger Tor als auf die Straße und ist dadurch unachtsam“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV).

Bei Touristen kommt hinzu, dass viele den Straßenverkehr hierzulande nicht kennen und mitunter sogar andere E-Scooter-Regeln gewohnt sind: Denn die Zulassungsvoraussetzungen sind national unterschiedlich, ebenso wie die Verkehrsregeln. Sind in Österreich beispielsweise E-Roller bis 25 km/h erlaubt, dürfen sie in Deutschland nur bis 20 km/h fahren. In den Niederlanden müssen die Fahrerinnen und Fahrer mindestens 16 Jahre alt sein, hierzulande reichen 14 Jahre und in Frankreich sind E-Scooter, wenn sie nicht schneller als 6 km/h fahren, sogar auf Bürgersteigen zugelassen ­wobei sich das demnächst ändern könnte. Aber auch viele Menschen, die in Deutschland leben, kennen sich mit den Verkehrsregeln für E-Scooter noch nicht richtig aus.
Sollte ein Führerschein für Scooterfahrer Pflicht seinBƒB•\œðéÚXÚ°ïˆYHšY[[ˆ[™°À¤lle ist auch, dass die Nutzerinnen und Nutzer die E-Roller unterschätzen. Das sagt nicht nur die Berliner Polizei, sondern ist auch die Beobachtung von UDV-Leiter Brockmann: „Fasst man die Lenkstange nicht mit beiden Händen an, kann man schnell die Kontrolle verlieren“, sagt er. Schwierig ist auf den Fahrzeugen auch, beim Abbiegen ein Handzeichen zu geben. Auch auf unebenen Grund geraten die Kleinfahrzeuge schnell ins Wanken. „Sobald man über Kanten, Kopfsteinpflaster oder Huckel fährt, ist der Fahrspaß vorbei“, urteilt die Stiftung Warentest. Teilweise wurden die Testerinnen und Tester so durchgeschüttelt, dass sie die Fahrt aus Sicherheitsbedenken abbrachen. Auch die Bremsen waren laut Stiftung Warentest mitunter schwierig zu bedienen. Dazu kommt, dass laut Schätzungen des Bundesverbands Elektrokleinstfahrzeuge etwa 200.000 illegale Geräte auf dem Markt sind, die häufig gar keine Haltestände haben.

Um das Fahren mit E-Scootern sicherer zu machen, wäre Brockmann deshalb dafür, dass nur Menschen die elektronischen Roller benutzen dürfen, die mindestens eine Mofa-Prüfbescheinigung haben. Eine Vorgabe, für die sich auch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ausgesprochen hat. Die Behörde sollte vor der offiziellen Einführung der E-Scooter untersuchen, welche Voraussetzung die Kleinfahrzeuge erfüllen müssen, um sicher zu sein. Der Gesetzgeber hat die Empfehlung jedoch ignoriert, ebenso wie die zur Helmpflicht. Auf die Frage nach dem Warum, heißt es beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): Egal, ob Radfahrende oder Fahrer und Fahrerinnen von Elektrokleinstfahrzeugen, beim Thema Helmpflicht setze das BMVI „auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung“. Dabei bestätigt eine Studie des Austin Public Health Department aus den USA: Nahezu die Hälfte der Verletzungen, wegen denen E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer in Austin ins Krankenhaus kamen, waren solche des Kopfes.

„Dass das BMVI die Helmpflicht nicht einführte, liegt vielleicht an der Umsetzbarkeit“, sagt Unfallforscher Brockmann: „Denn bislang werden E-Scooter vor allem spontan ausgeliehen ­und bei ihren Leihfahrzeugen können die Unternehmen den Schutzhelm schwer anbringen.“ Das heißt: Die Interessen der Verleiher wiegen offenbar mehr als die Sicherheit der Fahrerinnen und Fahrer.

Doch auch Brockmann ist es wichtig, zu betonen: „Um ernsthafte Schlüsse zu ziehen, welches Verletzungsrisiko E-Scooter haben, ist es einfach zu früh.“ Was auch daran liegt, dass der Markt sich überhaupt erst entwickelt: Gab es Anfang Juli in Berlin an die 4.800 E-Scooter zum Verleih, sind es laut Schätzungen des Bundesverbands Elektrokleinstfahrzeuge mittlerweile gut 10.000. Das Angebot hat sich damit mehr als verdoppelt. Brockmann plädiert daher dafür, mit weiteren Schritten abzuwarten, bis ausreichend Daten vorliegen. 2020 werden die Roller in die amtliche Unfallstatistik aufgenommen. Dann wird das BMVI auch seinen ersten Zwischenbericht vorlegen. Schon jetzt ist aber klar: Wer sicher Scooter fahren will, sollte nüchtern sein und einen Helm tragen.

Mit Grüßen aus Hamburg
Peter

Peter Woltersdorf
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