Lebenspraktische Fähigkeiten

Blindheit oder Sehbehinderung schränken die Fähigkeit zur selbständigen Verrichtung der alltäglichen Handgriffe, die bei der Bewältigung der eigenen Lebensführung erforderlich sind, in hohem Maße ein. Aufgrund der fehlenden oder nur noch eingeschränkt vorhandenen visuellen Kontrolle können selbst einfachste Verrichtungen schon zum Problem werden. Dies können zum Beispiel sein:
• eine Tasse Kaffee eingießen
• telefonieren
• die Wohnung reinigen
• im Geschäft bezahlen
• eine Unterschrift leisten
• eine warme Mahlzeit zubereiten
• die Fingernägel pflegen
Die Organisation des gesamten Tagesablaufs bereitet größte Schwierigkeiten.  Fast nichts kann so gemacht werden, wie es sehende Menschen gewohnt sind: spontan, schnell, ohne nachzudenken. Hier wird ein Schulungsprogramm vorgestellt, das blinde oder sehbehinderte Menschen dazu befähigen kann, die Anforderungen des täglichen Lebens (wieder) selbständig und sicher zu bewältigen und diese auch ohne fremde Hilfe erfolgreich zu meistern.
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Ziele und Inhalte
Ziel der Schulung in Lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF) ist es, blinde und sehbehinderte Menschen in die Lage zu versetzen, die durch Blindheit oder Sehbehinderung hervorgerufenen Schwierigkeiten bei der Durchführung alltäglicher Handgriffe und Verrichtungen so weit als möglich auszugleichen bzw. zu beseitigen.
Blinde und sehbehinderte Menschen müssen die im üblichen Lebensalltag anfallenden Handgriffe und Verrichtungen anders als Sehende kontrollieren und durchführen. Hierzu bedarf es das Erlernen spezieller Vorgehensweisen, Techniken und Handlungsstrategien, die an die individuellen Vorraussetzungen des blinden oder sehbehinderten Menschen angepasst werden müssen.
Bei der Verrichtung der alltäglichen anfallenden Handgriffe und Bewegungsabläufe gehört die  Auge-Hand-Koordination fast immer dazu. Das meint nichts anderes, als dass sehende Menschen es gewohnt sind, nahezu ALLE Tätigkeiten mit den Augen zu begleiten. Hierdurch werden gezielte Handlungen wie das Greifen eines Gegenstandes, das gezielte Positionieren der Tasse auf dem Tisch etc. überhaupt erst möglich. Da bei Blindheit und Sehbehinderung diese Koordination nicht mehr oder nur noch unzureichend möglich ist, scheinen nahezu alle diese Tätigkeiten zunächst nicht mehr durchführbar zu sein.
Je nach Bedarf der betreffenden Person umfasst die Schulung in Lebenspraktischen Fähigkeiten folgende Bereiche:
• Im Bereich der Körperpflege: Waschen, Duschen, Baden, die Intim- und Zahnpflege, die Haarpflege, das Rasieren, die Nagelpflege, das Dosieren und Anwenden von Pflegemitteln, sich An- und Auskleiden (Auswählen von Kleidungsstücken, Strategien zum Kennzeichnen und Sortieren von Kleidungsstücken, Umgang mit Verschlüssen).
• Im Bereich der speziellen Pflege: Babypflege, Reinigung und Pflege von Zahnprothesen, Augenprothesen und Hörgeräten, Einnahme von Medikamenten, Einführung und Umgang mit blindenspezifischen medizinischen Hilfsmitteln (sprechendes Fieberthermometer, sprechendes Blutdruckmessgerät, sprechendes Blutzuckermessgerät,…) und der Versorgung von kleinen Verletzungen.
• Im Bereich der Ernährung: bei der Nahrungsaufnahme (Schiebe- und Schneidetechnik, Eingießen, Brot bestreichen, sich das Essen servieren…).
• Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung: Strategien zum Einkaufen (Geld, Notizgeräte, Telefon, Unterschrift), das Erkennen und Sortieren der Lebensmittel, das Zubereiten von Gerichten (Schneiden, Schälen, Messen, Wiegen, Umgang mit dem Herd…), das Reinigen der Wohnung (Verschiedene Flächen systematisch säubern, Betten beziehen,…), das Spülen, Waschen der Wäsche und Kleidung (Bügeln, Schuhe putzen…),…
• Im Bereich Nähen: Faden einfädeln, Knöpfe annähen, verschiedene Nähte, Nähen mit der Nähmaschine,…
• Im Bereich der häuslichen Reparaturen: Umgang mit verschiedenen Werkzeugen, Schrauben eindrehen, Nägel einschlagen, auswechseln einer Glühbirne,…
• Im Bereich der Kommunikation: Erlernen der Blindenschrift (Tastübungen zum Punktschriftlesen, Einführung in die Systematik der Braille-Schrift) oder das Bedienen des Telefons.
Zu jeder Rehabilitationsmaßnahme in Lebenspraktischen Fähigkeiten gehören die Förderung der Wahrnehmung und die Schulung eines optimierten Einsatzes der verbliebenen Sinne. Zum Ausgleich der fehlenden visuellen Kontrolle müssen Handlungsabläufe strukturiert, bewusst geplant und ausgeführt werden. Die Organisation des eigenen Tätigkeitsbereiches und die taktile und akustische Kontrolle von Bewegungsabläufen bekommen einen sehr hohen Stellenwert. Um effektiv und zielgerichtet am eigenen Körper und im unmittelbaren Handlungsbereich tätig sein zu können, bedarf es unter Umständen auch einer gezielten Schulung zur bewussten Körperwahrnehmung. Diese Schulung der sogenannten Basifähigkeiten erfolgt nicht als einzeln zu fördernder Bereich, sondern ist in den oben aufgeführten Bereichen stets integriert.
Der Einsatz eines noch vorhandenen Sehvermögens wird soweit wie möglich bei der Vermittlung der Schulungsinhalte mit einbezogen. Zur Verbesserung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit werden die Möglichkeiten von Kontrastgebung, Beleuchtung sowie optischer Vergrößerung erprobt und eingeübt.
Die Möglichkeiten des Einsatzes geeigneter Hilfsmittel werden vorgestellt und bei Bedarf vermittelt.
Umfang und Dauer
Die Schulung in Lebenspraktischen Fähigkeiten hat zum Ziel, jeden Teilnehmer ganz individuell zu dem Grad der Selbständigkeit zu verhelfen, den er selbst erreichen kann und möchte. Um dies zu erreichen, wird die Schulung stets als Einzelunterricht durchgeführt.
Dabei orientiert sich der Unterricht nicht an einem festen Lehrplan, sondern an den Bedürfnissen und Wünschen des blinden oder sehbehinderten Menschen.
Faktoren wie Alter, Vorerfahrung, sowie die körperlichen und geistigen Voraussetzungen spielen ebenso eine große Rolle bei der Einschätzung des Schulungsumfanges.
Aufgrund dessen variieren Inhalte, Dauer und Gestaltung der Schulungen oft deutlich voneinander.
Die individuell festgestellten Schulungsinhalte werden in einem Schulungsplan festgehalten und mit einer Stundenzahl veranschlagt. Es kann dazu kommen, dass diese Zahl im Verlauf der Maßnahme nach oben oder nach unten korrigiert werden muss, weil die Inhalte nicht im notwendigen Umfang vermittelt werden konnten oder aber gar nicht in dieser Größenordnung notwendig waren.
Manchmal kann es sinnvoll sein, die Schulung nicht an einem Stück, sondern in zeitlich voneinander getrennten Lernblöcken durchzuführen, um bereits Erlerntes festigen und darauf im Folgenden aufbauen zu können. Nach einschneidenden Veränderungen wie z.B. einer Verschlechterung des noch vorhandenen Sehvermögens, der Beeinträchtigung anderer Sinne (wie Hören und Tasten) oder einer veränderten Wohn- und Lebenssituation kann es notwendig werden, die Schulungsinhalte zu erweitern und auf die neue Lebenssituation des Betroffenen abzustimmen.
Grundsätzlich macht es einen deutlichen Unterschied, ob eine Person bereits von Geburt an blind bzw. sehbehindert ist oder erst im Laufe des Lebens betroffen wurde.
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Medizinisches Basistraining für späterblindete Menschen und Menschen mit erworbener Sehbehinderung
Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens blind oder hochgradig sehbehindert geworden sind, können ein medizinisches Basistraining bei der Krankenkasse beantragen. Grundlage hierfür ist das Empfehlungsschreiben des Spitzenbundes der GKV vom 13.09.2006.
Im Rahmen eines solchen medizinischen Basistrainings erlangen Menschen mit erworbener Sehbehinderung oder Blindheit die Lebenspraktischen Fähigkeiten wieder zurück, die sie sich als sehende Menschen bereits angeeignet hatten (wie z.B. Nahrungszubereitung, Brot schmieren, Eingießen, Reinigen von Flächen, Bügeln u.v.m.), indem sie spezielle Blindentechniken erlernen.
Ziel ist, durch diese Erweiterung und Modifikation bereits vorhandener Fähigkeiten eine Kompensation des Handicaps zu erreichen.
(Demgegenüber steht die Schulung in LPF mit von Geburt an blinden oder sehbehinderten Menschen, die die LPF in der Schulung komplett neu erlernen müssen.)
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Ort der Schulung
In den meisten Fällen findet die Schulung am jeweiligen Wohn-, Schul – bzw. Arbeitsort des betroffenen blinden oder sehbehinderten Menschen statt. Der Rehabilitationslehrer für Blinde und Sehbehinderte kommt nach Absprache und individuellem Bedarf zu ein- oder mehrstündigen Schulungseinheiten zum jeweiligen Schulungsort. 
Auch gibt es Rehabilitationseinrichtungen für Binde und Sehbehinderte, die eine Schulung in Lebenspraktischen Fähigkeiten im Rahmen stationärer Maßnahmen anbieten.
Quelle ist von rehalehrer.de