Sendung 28: Gewalt an Menschen mit Behinderungen

barrierefrei aufgerollt
[Musik barrierefrei aufgerollt – kurz kompakt und leicht verständlich]
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Am Mikrophon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
„Wenn ich als Kind in die Hose gemacht habe, bekam ich lange nichts zu Essen. Ich wurde geschlagen, wenn ich schlimm war. Sie haben mich an den Haaren gezogen. Am Badetag wurde das Wasser nicht gewechselt. Wenn du als 10. dran warst, war es dreckig und kalt. Aber am schlimmsten war das Essen, das haben sie uns reingestopft.“
Das war ein Auszug aus dem Kurier-Artikel „Wenn Helfer zu Tätern werden“ aus dem Jahr 2010.
Das Thema, über das wir heute sprechen, Gewalt, ist leider immer wieder aktuell. Im Jahr 2011 äußerte der Monitoring-Ausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf Gewalt und Missbrauch an Menschen mit Behinderungen.
Auch aktuelle Studien belegen, dass Menschen mit Behinderungen, vor allem Frauen, einem viel höheren Gewaltrisiko ausgesetzt sind als Menschen ohne Behinderungen.
Zwei Studien haben sich derzeit mit dem Thema Gewalt an Menschen mit Behinderungen auseinandergesetzt. Ein von 2013 bis 2015 durchgeführtes EU-Projekt mit dem Titel „Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutzeinrichtungen bei Gewalterfahrungen“ hat sich die Frage gestellt, ob Frauen mit Behinderungen die Gewalt erlebt haben, Hilfestellungen und Serviceleistungen von Opferschutzeinrichtungen im gleichen Ausmaß in Anspruch nehmen können wie Frauen ohne Behinderungen.
Eine weitere von 2017 bis 2019 durchgeführte Studie mit dem Titel „Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen“ ist eine österreichweite Erfassung unterschiedlicher Gewalterfahrungen von Menschen mit Behinderungen. Die Studie bezieht sich auf erwachsene Personen, die in Institutionen leben. Ziel war es aber, Gewalterfahrungen aus allen Lebensbereichen zu erheben.
In dieser Sendung sprechen wir mit Elisabeth Löffler, die uns über ihre Erfahrungen in der Begleitgruppe zur Studie „Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutzeinrichtungen“ berichtet. Die Themen Beratung und Unterstützung begleiten uns auch weiterhin. Ein weiterer Gast, Lisa Udl, arbeitet für die Beratungsstelle Ninlil, eine Beratungsstelle für Frauen mit Behinderungen.
Nicht nur Frauen können von Gewalt betroffen sein, sondern auch Männer. Hubert Steger von der Männerberatung Wien gibt uns Einblick in seine Beratungstätigkeit bei der Betroffenenberatung für Männer.
[Überleitungsmusik]
Katharina Müllebner: Elisabeth Löffler ist ausgebildete Peer-Beraterin und Lebens- und Sozialberaterin mit dem Schwerpunkt Sexualität. In ihrer Arbeit ist sie sehr oft mit dem Thema Gewalt an Frauen mit Behinderungen konfrontiert.
Katharina Müllebner: Frau Löffler, bitte erzählen Sie uns etwas über die Studie „Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutzeinrichtungen“.
Elisabeth Löffler: Die Studie hat zwei Jahre gedauert, es war ein EU-Projekt und es waren ein paar Länder beteiligt, Österreich, England, Island und Deutschland. Ich selber war als Expertin und Frau mit Behinderung eingeladen in der Begleitgruppe zu dieser Studie einfach dabei zu sein.
Katharina Müllebner: Was waren denn die zentralen Fragestellungen der Studie?
Elisabeth Löffler: Wie gut werden Frauen mit Behinderungen, die schon Gewalt erfahren haben, unterstützt von Opferschutzeinrichtungen – im feministischen Bereich sagt man gerne Gewaltschutzeinrichtungen, um sichtbar zu machen, dass es hier um Gewalt geht.
Wie gut ist der Zugang/wie gut zugänglich sind Opferschutzeinrichtungen bzw. Unterstützungseinrichtungen wie zum Beispiel Frauenhäuser?
Was besonders an dieser Studie war, dass die ganzen zwei Jahre lang Frauen mit Behinderungen einbezogen waren, eben ich zum Beispiel in der Begleitgruppe.
Und ein großes Ziel war auch die Sichtbarkeit und nicht nur wieder eine weitere Studie zu machen, sondern ein Ergebnis dazwischen waren eben zwei Broschüren, wobei eine Broschüre wirklich auch für Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen erstellt wurde.
Um nicht nur wieder eine Studie zu machen, die irgendwo in einer Schublade landet, sondern die auch für Frauen mit Behinderungen eine Wirkung hat und auch verteilt werden kann. Das finde ich etwas ganz Besonderes an dieser Studie.
Katharina Müllebner: Was waren denn so die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Elisabeth Löffler: Also es gab ja zwei große Gruppen, die befragt worden sind, nämlich die Gruppe, an die sich Frauen mit Behinderungen wenden können oder eben nicht können.
Und da war das Größte für mich als Frau mit Behinderung nicht überraschend die Barrierefreiheit auf der räumlichen Ebene und dass es einfach auch diese Informationsbarriere gibt, also für gehörlose Menschen nicht wirklich Zugang zu Opferschutzeinrichtungen haben, es für Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht wirklich leichte Sprache gibt.
Ganz interessant war, dass oft die Einrichtungen, also die Einrichtungen selbst sich überfordert fühlen aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen und personeller Ressourcen und das unbedingt ausgebaut werden soll die Peer-Beratung für Menschen mit Behinderung und die Ausbildungsmöglichkeiten für Personal, das in Frauenberatungsstellen arbeitet, das die Broschüren automatisch auch angeben, dass sie für Frauen mit Behinderungen zugänglich sind sogar wenn sie nicht zugänglich sind, aber dass sie das Thema Frauen mit Behinderung und Gewalt überhaupt thematisieren und sagen ja, wir beraten auch Frauen mit Behinderungen.
Aber auch und das ist vielleicht eines der wichtigsten Dinge, ihnen wird nicht geglaubt, dass es vor allem auch diesen, jetzt würde ich mal salopp sagen, politischen Willen braucht, um das Thema nicht nur sichtbar zu machen, weil alle wissen es, aber auch dafür Geld in die Hand zu nehmen, um die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Katharina Müllebner: Was genau war diese Begleitgruppe, was haben Sie da gemacht?
Elisabeth Löffler: Es gab am Anfang Online-Fragebögen, es wurden zum einen Gruppeninterviews gemacht mit verschiedenen Frauen mit Behinderungen aus Österreich. Und in diesen Gruppeninterviews war zum Beispiel immer eine Frau mit und ohne Behinderung als Leiterin anwesend und viel Input konnte ich auch geben bei der Broschüre selber.
Was soll in dieser Broschüre stehen, zu besprechen, wie die Broschüre tatsächlich ausschauen wird, was sind wirklich relevante Dinge, die in einer Broschüre sein sollen, damit es auch nicht zu groß wird zum Beispiel, damit sie wirklich nutzbar auch ist für Frauen mit Behinderungen.
In der Begleitgruppe zum Beispiel um ganz konkret zu sein, dass wenn man mit Menschen mit Behinderung, Frauen mit Behinderung fragt über ihre Gewalterfahrungen, sind wir dann im Gespräch sozusagen haben wir gesagt, da müssen unbedingt erstens mal Frauen mit Behinderungen die Interviewpartnerinnen sein als Peer und es muss auch immer eine professionelle Begleitung in der Nähe sein, falls im Interview sozusagen Gefühle, Erinnerungen oder Traumas auftauchen, damit diese Person dann auch wirklich begleitet wird.
Und nicht nur ein Interview geführt wird, aber die Person mit Behinderung dann mit diesen Gefühlen und allem, was dann immer wieder neu reaktiviert wird, alleingelassen wird.
Die Frauen mit Behinderungen, die interviewt worden sind, haben zurückgemeldet, dass für sie das eines der wichtigsten Dinge war, dass sie gehört worden sind. Was uns nicht gelungen ist trotz vielen Bemühungen zum Beispiel Frauen mit Sehbehinderungen oder blinde Frauen überhaupt für die Studie zu erreichen.
Katharina Müllebner: Woran liegt das, dass Frauen mit Behinderungen häufiger von Gewalt betroffen sind als Frauen ohne Behinderungen?
Elisabeth Löffler: Kinder mit Behinderungen, die sozusagen auf die Welt kommen, die Behinderung wird diagnostiziert, sag ich dann gerne, kommen dann schnell in den ganzen Zirkus, sag ich mal, von wieder repariert zu werden und plötzlich ist der Körper nur mehr er wird reduziert auf seine Funktion und die Kinder bekommen Frühförderung, werden operiert, werden therapiert, können sich vielleicht nicht selber anziehen und werden angezogen und ausgezogen.
Aber sie werden selten gefragt: Willst du das? Das heißt der Körper wird dauernd berührt und angegriffen als Kinder sag ich jetzt, ohne gefragt zu werden, ob ihnen das angenehm ist, unangenehm und immer zu ihrem Besten. So wird es ihnen dann vermittelt oder es tut weh, aber die Eltern sagen: „ah ist schon gut, das ist zu deinem Besten“ oder „der Doktor muss das jetzt machen, weil…“
So bekommen diese Kinder auch kein Gefühl für ihren Körper als etwas, das ihnen gehört, über das sie bestimmen können und selten werden Therapien oder Operationen oder berührt werden als etwas Positives wahrgenommen. Es wird im Spital gemacht, oder in den Therapiezentren oder oder oder und dann ist es natürlich ein langer Prozess oder er findet nie statt auch mal zu sagen: „Nein, ich will das nicht“. Jetzt mach ich einen großen Zeitsprung dann wird man vielleicht von jemandem berührt oder missbraucht und denkt sich: „Mmh, gehört sich hald so, bin ich ja eh gewohnt“.
Also eine interessante… ein Detail dieser Studie war auch, dass die Frauen mit Behinderung oft erst durch diese Fragen draufgekommen sind, das war überhaupt Gewalt.
Weil für diese Frauen war es ganz normal, dass sie gerissen werden oder gestoßen werden oder beschimpft werden oder aufgrund ihrer Behinderung sozusagen diskriminiert werden. Das war für sie erst während der Fragen „Aha, das ist Gewalt. Aha, das darf die Person nicht mit mir tun, mich reißen, mich zwicken, mir Schuhe anziehen, die mir schon längst nicht mehr passen, mir Hilfsmittel verweigern oder wegnehmen, wenn ich nicht brav bin.“ Also das fällt ja auch alles unter Gewalt.
[Überleitungsmusik]
Katharina Müllebner: Elisabeth Udl arbeitet für den Verein Ninlil Empowerment und Beratung für Frauen mit Behinderungen. Als Leiterin des Bereichs „Kraftwerk“ beschäftigt sie sich vor allem mit dem Thema Gewalt an Frauen mit Lernbehinderungen und Mehrfachbehinderungen.
Katharina Müllebner: Frau Udl, bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Arbeit.
Elisabeth Udl: Ja also genau genommen haben wir beim Verein Ninlil Angebote für Frauen mit Lernschwierigkeiten und zwar sind wir spezialisiert auf die Arbeit gegen sexualisierte Gewalt an Frauen mit Lernschwierigkeiten.
Das heißt, zu uns können einerseits Frauen kommen mit Lernschwierigkeiten, die Gewalt erlebt haben oder zum Beispiel auch in einer Gewaltbeziehung sind. Das heißt, das kann eine Beziehung sein, die oft über weite Strecken gut ist, aber immer wieder auch Gewalt im Spiel ist und wo die Frauen Beratung suchen wie können sie da für sich einen guten Weg finden entweder die Beziehung zu beenden oder auch in der Beziehung einen besseren Weg für sich zu finden, wie sie da selbstbestimmt und gewaltfrei leben können.
Also das ist der Teil wo wir Beratung ganz konkret anbieten, dann arbeiten wir auch aber sehr viel breiter gegen das Thema sexualisierte Gewalt an Frauen mit Lernschwierigkeiten.
Das heißt, wir haben auch Angebote für Betreuerinnen, wir haben Workshop-Angebote, wir haben Empowerment-Seminare für Frauen mit Lernschwierigkeiten, also Arbeit im Bereich der Prävention der Vorbeugung von Gewalt. Wir machen auch immer wieder Vorträge, wir schauen, dass wir bei Tagungen sind, bei Konferenzen, wir sind in vielen Vernetzungen. Es gibt eine Vernetzung von österreichischen Frauenberatungsstellen wo wir auch sehr aktiv sind, damit eben auch Frauenberatungsstellen, die sich eigentlich von der Zielgruppe her sich erstmal an nicht behinderte Frauen richten, damit auch die Themen von Frauen mit Behinderungen kennenlernen und ein bisschen mehr hinschauen können auch.
Katharina Müllebner: Was würden Sie sagen, sind Frauen mit Lernschwierigkeiten häufiger von Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderungen?
Elisabeth Udl:  Ja, also da muss ich leider, ist die Antwort auf jeden Fall ja.
Ich arbeite jetzt seit 2006 in dem Verein und habe also auch schon viel eigene Erfahrung. Aber es gibt auch Studien zu dem Thema und die Studien, die es gibt, sagen, dass Frauen mit Lernschwierigkeiten ungefähr doppelt so häufig von sexualisierter Gewalt betroffen sind im Vergleich zu nichtbehinderten Frauen.
Katharina Müllebner: Woran meinen Sie liegt das?
Elisabeth Udl:  Also nach allem, was wir wissen und – also da ist jetzt wieder hauptsächlich unser Erfahrungswissen das, was ich erzählen kann, hängt das vor allem mit Abhängigkeiten zusammen. Also jede Form von Abhängigkeit ist leider ein Nährboden für Formen von Gewalt.
Das heißt strukturelle Gewalt macht, dass andere Formen von Gewalt häufiger vorkommen. Wenn jemand in einer Beziehung, wenn eine Frau von einem Mann abhängig ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass da auch Gewalt passieren kann.
Und Frauen mit Lernschwierigkeiten, das wissen wir, leben einfach in vielfältigen Abhängigkeiten und das mit dem, darum haben wir auch diese Empowerment-Seminare, weil die Selbstbestimmung das Wissen, das man über sich und über den eigenen Körper und über das ganze Leben grundsätzlich selbst bestimmen kann, das ist oft etwas, was auch erwachsenen Frauen mit Lernschwierigkeiten nicht genug/ was sie im Alltag nicht genug erleben. Sondern es ist oft so, dass der Alltag in betreuten Strukturen einer ist, wo Selbstbestimmung nur ganz wenig möglich ist und wo oft auch zum Beispiel, also die Ressourcen reichen dann einfach nicht, dass zum Beispiel Frauen ihre Freizeit selbstständig gestalten können.
Frauen, die Begleitung brauchen, wenn sie ins Kino gehen wollen, können das oft nicht machen, wenn sie in einer WG leben, wo es halt nicht so viele Ressourcen gibt, dass jede Person, die dort lebt, bei der individuellen Freizeit, also bei dem, was sie selber machen will, unterstützt wird. Und das ist halt auch / also da kann man sozusagen gleich eine Geschichte daraus machen.
Das macht dann halt auch möglich, dass zum Beispiel jemand, der eine Frau sexuell auch ausnutzen will und der Gewalt ihr gegenüber ausüben will, der sie vergewaltigen will, dass der sie quasi vorher schon in eine Abhängigkeit bringen kann, indem er ihr zum Beispiel sagt, na ja, wenn mit mir mitgehst, dann zahle ich dir einen Kaffee. Dann können wir miteinander ins Kino gehen, wir können lauter schöne Sachen machen miteinander. Und das ist ja, überhaupt bei sexualisierter Gewalt, bei Missbrauch, sehr oft so, dass die Täter zuerst ein Netz spannen aus Lügen und aus netten Tätigkeiten sozusagen, oder wo man miteinander etwas Nettes unternimmt.
Und wenn es dann zum Übergriff kommt, dann, das sind ganz bewusste Strategien von den Tätern, dass die dadurch auch geschützt sind, weil dann dadurch auch das Umfeld von der Frau sagt, na ja der, der würde so etwas nie machen, der ist doch so nett, der macht doch so – der unternimmt doch ständig Sachen mit ihr, das hat sie bestimmt falsch verstanden, dass hat der nicht so gemeint. Also das ist auch eine ganz gezielte Strategie der Täter, um sich selbst zu schützen.
Katharina Müllebner: Was fällt denn alles unter sexualisierte Gewalt?
Elisabeth Udl:  Wir haben beim Verein Ninlil die Definition, dass jede Handlung, die die persönlichen Grenzen einer Frau überschreitet, ob das jetzt die körperlichen Grenzen sind oder gefühlsmäßige Grenzen, also jede Handlung, die diese Grenzen überschreitet, ist Gewalt. Da ist ein Übergriff.
Und das Besondere an dieser Art der Definition ist, dass die Frauen selber, die einzigen sind, die sagen können, ob das jetzt ein Übergriff war oder nicht.
Und das ist deshalb so wichtig, weil es Frauen oft passieren, dass die zum Beispiel erzählen, der hat mich an der Brust angegriffen und ich wollte das nicht. Und dann wird Frauen mit Lernschwierigkeiten, die zum Beispiel auch bei der Pflege Unterstützung brauchen, wird ihnen gesagt, aber das hat er ja nicht so gemeint, das war kein Übergriff, das war nicht so gemeint, das hast du sicher falsch verstanden.
Katharina Müllebner: Wenn ich jetzt von Gewalt betroffen bin, was kann ich da tun?
Elisabeth Udl: Also unsere Empfehlung ist immer, sich Hilfe zu holen. Und Hilfe holen, das kann verschiedene Sachen heißen. Das kann heißen, ich erzähle es jemandem, den ich mag und dem ich vertrauen kann. Das ist meistens der wichtige erste Schritt. Es kann aber auch heißen, ich rufe gleich mal in einer Beratungsstelle an.
Es gibt ja in Österreich. Es gibt eine österreichweite Infonummer, also nicht Infonummer, sondern Hilfsnummer, Beratungsnummer, das ist die Frauenhelpline. Und dann gibt es in Wien den 24 Stunden Notruf. Also diese beiden Nummern sind beide 24 Stunden erreichbar. Und dann gibt es eben in Wien auch spezialisiertere Beratungsstellen, Beratungsstellen, die auf das Thema sexualisierte Gewalt spezialisiert sind und auch uns, die wir auf die Beratung für Frauen mit Behinderungen spezialisiert sind.
Also in all diesen Beratungsstellen kann man anrufen. Bei den Telefonhotlines kann man auch direkt ein Beratungsgespräch kriegen. Bei den Beratungsstellen ist es meistens so, dass man einen Termin ausmachen muss.
Also Hilfe holen ist immer gut, auch wenn ich zum Beispiel noch gar nicht weiß, ist das, was mir da jetzt passiert Gewalt? Irgendetwas fühlt sich nicht so richtig an. Also man muss, wenn man sich in einer Beratungsstelle Hilfe holt, dann muss man sich nicht sicher sein. Da kann man ganz/ das kann man auch machen, um sich ein bisschen mal beraten zu lassen und Orientierung zu kriegen.
Ich nenne deswegen zuerst die Beratungsstellen und eben nicht zuerst die Polizei, weil wenn man bei der Polizei eine Anzeige macht, dann gehen viele Sachen los, die man dann vielleicht nicht mehr kontrollieren kann.
Das heißt, wenn man/ also da muss man, wenn eine Anzeige ist, dann muss man nachher Aussagen machen. Dann wird man immer wieder mal angerufen, dann muss man/ also, nicht immer wieder mal angerufen, aber man muss einfach dann auch zur Verfügung stehen, um noch mal Aussagen zu machen und so.
Und deshalb empfehlen wir, bevor eine Frau eine Anzeige macht, dass sie sich Beratung holt, zum Beispiel bei einem der beiden Notrufe in Wien. Die bieten nämlich etwas an, das heißt Anzeigeberatung. Da kann man sich, bevor man die Anzeige macht, ganz genau erklären lassen, was macht denn die Polizei mit der Anzeige? Wie oft muss ich dann da hin? Wie sind die Aussichten? Kann ich da Begleitung kriegen und Unterstützung? Es gibt nämlich dann auch etwas, das heißt Prozessbegleitung.
Man kann eine sowohl juristische als auch psychosoziale Begleitung und Beratung kriegen, wenn man eine Anzeige gemacht hat und wenn es dann zu einem Prozess kommt.
Also wir empfehlen unbedingt, dass man sich bevor man eine Anzeige macht, auch schon Unterstützung sucht. Und ganz wichtig noch, also wir sagen nicht statt einer Anzeige soll man sich Beratung holen, sondern als Vorbereitung. Es ist nicht, dass wir abraten von einer Anzeige, aber vorbereitend sich beraten zu lassen kann enorm helfen.
[Überleitungsmusik]
Katharina Müllebner: Auch Männer mit Behinderungen können von Gewalt betroffen sein. Hubert Steger von der Männerberatung Wien ist als klinischer Gesundheitspsychologe für den Bereich Opferschutz und Prozessbegleitung verantwortlich. Aber auch für andere Bereiche wie Väterarbeit oder allgemeine Beratung für Männer.
Katharina Müllebner: Herr Steger, welche Erfahrungen hat Ihre Stelle mit dem Thema Gewalt an Männern mit Behinderungen gemacht?
Hubert Steger: Menschen, Männer, Buben, Burschen mit Behinderungen sind immer wieder, sind sie auch eben bei uns, gehen bei uns in Beratung, holen sich Informationen von uns, dass sie eben auch von Gewalt betroffen sind, dass sie Gewalterfahrungen machen.
Und in verschiedenster Art und Weise, teilweise eben auch einfach durch die Strukturen, in denen sie leben oder manchmal auch aufgrund ihrer Handicaps leben müssen, erfahren sie auch Formen von struktureller Gewalt.
Also dass die Strukturen nicht adäquat sind, dass sie dadurch benachteiligt sind, dass sie durch Lebensumstände und Hindernisse haben, die eigentlich nicht sein müssten. Und dass sie eben auch betroffen sind von körperlicher Gewalt, dass sie sich da nicht adäquat auch artikulieren können und sich nicht adäquat dagegen wehren können und manchmal auch nicht Gehör kriegen.
Manchmal solche Formen von Gewalt auch einfach weiter bestehen bleiben oder weitergehen.
Dasselbe betrifft auch sexuelle Gewalt ja, also das ist ein Tabuthema überhaupt unter Männern mehr als bei Frauen, bei Frauen ja auch, bei Männern noch mehr, weil es so schambesetzt ist.
Also das Thema Gewalt an Männern ist etwas, das ich immer wieder schwierig finde zu kommunizieren, das ist ein unterbelichtetes Thema es ist sozusagen von den Männern selbst oft nicht wahrgenommen. Das Mannwerden im Mannwerden ist es schon so angelegt betroffener von Gewalt zu sein, hilfsbedürftig zu sein, sich nicht wehren zu können ist etwas Unmännliches. Sowie das auch von Männern selbst eher negiert, bagatellisiert hintenangestellt, verdrängt und man versucht einfach nach vorn zu schauen und zu schauen, dass man irgendwie als Mann funktioniert.
Katharina Müllebner: Studien sagen ja, dass Frauen mit Behinderungen häufiger von Gewalt betroffen sind als Frauen ohne Behinderungen. Lässt sich eigentlich ähnliches für die Männer mit Behinderungen sagen?
Hubert Steger: Also sie sind aus meiner Sicht häufiger betroffen als andere Männer, eben aufgrund dieser besonderen Umstände, wie sie wohnen und aufgrund der besonderen Bedürfnisse, die sie vielleicht auch haben.
Ja und da gibt es dann auch manchmal eben auch Spannungen mit dem Umfeld, in dem sie leben und ja, sie sind vielleicht auch manchmal die wehrloseren unter Anführungszeichen Opfer.
[Überleitungsmusik]
Katharina Müllebner: Gewalt kann überall vorkommen, ob in der Familie, im öffentlichen Raum, in Wohngemeinschaften oder Institutionen. Jeder und Jede kann von Gewalt betroffen sein.
Dieser Beitrag macht auch deutlich, dass institutionelle Abläufe und Strukturen unter Umständen zu Gewalt führen können bzw. dass die Tatsache, in einer Institution leben zu müssen, wo man gewissen Regeln unterworfen ist, die man selbst nicht mitbestimmen kann, eigentlich schon Gewalt ist.
Fakt ist auch, dass je größer die Macht und Abhängigkeitsverhältnisse sind, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass in solchen Verhältnissen Gewalt ausgeübt wird.
Ein selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeit ist also auch ein gutes Mittel zur Vorbeugung von Gewalt. Wichtig ist auch den Betroffenen Unterstützung und Hilfe anzubieten. Nicht weg zu schauen, sondern aktiv zu werden.
Zum Abschluss unserer Sendung noch ein Apell. Wenn Sie selbst von Gewalt betroffen sind oder jemanden kennen, der vielleicht Hilfe braucht, können Sie sich Unterstützung holen. Sie sind nicht allein! Bei der Internetseite zu unserer Sendung Gewalt an Menschen mit Behinderungen finden Sie entsprechende Informationen verlinkt.
Unsere Radiosendungen finden Sie auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at
Wir von barrierefrei aufgerollt freuen uns über die wachsende Zahl an Zuhörerinnen und Zuhörern aus anderen Bundesländern. Neu mit dabei ist das Grazer Radio Helsinki. Wir sind also ab jetzt auch in Graz zu hören. An dieser Stelle ganz herzliche Grüße an unsere Zuhörerinnen und Zuhörer in Graz.
Alle Infos zu unseren anderen Sendeplätzen und Sendeterminen finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at/Sendetermine.
Es verabschiedet sich Ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik barrierefrei aufgerollt – kurz kompakt und leicht verständlich]
Quelle ist von barrierefrei-aufgerollt.at