[Elch] Das Schaf im Wolfspelz

Ein kuscheliges Jungschaf durchlief sein Erwachsenwerden, war unzufrieden
mit seinem Aussehen, beschloss ohne sich einem anderen Schaf anzuvertrauen,
geschweige denn dem Mutterschaf, sich eine neue Identität auszusuchen. Auf
keinen Fall wollte das pubertierende Schaf mehr kuschelig sein. Viel mehr
wollte es einen entsetzlichen Ausdruck besitzen, der alle anderen
erschrecken sollte. Nächtelang, während die anderen Schafe ihren Träumen
nachhingen, überlegte es, beinahe ohne einen anderen Gedanken fassen zu
können, wie das zu bewerkstelligen sei. Ja, wenn es wie ihr größter Feind
aussehen könnte, wie der Wolf, von dem alle Schafe eine Heidenangst besaßen,
da er diese reißen, in blutige Stücke zerteilen, und per Express in seinen
Magen, zumindest Stücke davon, befördern könne.

Doch wie dies erreichen? Eine Denkaufgabe die das junge Schaf an die Grenzen
seiner Vorstellungskraft zu bringen drohte. Den Wolf angreifen? Ohne
Reißzähne? Diesem eine Falle stellen? Doch wie? Unruhig verbrachte unser
Schaf seine Nächte. Bekam unter seinen Augen im weißen Pelz davon schwarze
Ringe, sodass seine Mutter bereits daran dachte, dass der Bauer das
entdecken und das junge Schaf in seinem Viehwagen ins Schaf-Nirwana
entführen würde, aus dem noch kein Artgenosse die Rückkehr, geschweige denn
eine Wider- oder eine Wiedergeburt gefunden habe.

Da, in einer Vollmondnacht, kam der Geistesblitz über das so suchende,
jugendliche Schaf. Es sprach seine Artgenossen in der Wolfssprache an, das
es so emsig studiert hatte. Der Wolf, der sich nachts darauf an die
Schafsherde heranschlich, erschrak darob so mächtig, dass er die
Schafssprache erlernte und seither friedlich sein Dasein ohne Schafsgerichte
zu verzehren, noch ein Schafsgericht, vor dem er sich zu verantworten hätte,
zu fürchten, bis zum heutigen Tag genießt. Und falls er nicht gestorben ist,
lebt er in den Sagen und Mythen der Schafe als großer böser Wolf weiter.