[Elch] Julian und der Weihnachtsmann

Julian ist ein ganz gewöhnlicher Junge, gerade neun Jahre alt geworden und
wohnt mitten in Berlin. Die Zeiten, dass er noch an den Weihnachtsmann
geglaubt hat sind längst vorbei. Jetzt weiß er, dass seine Eltern ihm stets
alle Geschenke zu Weihnachten gekauft hatten. Es ist auf der einen Seite
schade, dass alles eine ausgedachte Geschichte der Erwachsenen ist, weil er
das mystische, feierliche Gefühl immer sehr geliebt hat. Über tolle
Geschenke freut sich der Junge natürlich weiterhin auf besondere Weise.
Allerdings sorgt sich Julian nun zunehmend, da er mitbekommen hat, dass sein
Vater arbeitslos geworden ist. Julian hatte die Gespräche seiner Eltern
belauscht, als er mal nicht schlafen konnte. Seine Wunschliste ist
erschreckend lang und es könnte sein, dass unter Umständen vielleicht sogar
keiner seiner Wünsche berücksichtigt werden kann. Das wäre eine absolute
Katastrophe! Vor Jahren noch, gab es drei Tage, worauf er sich das ganze
Jahr freuen konnte. Das war sein Geburtstag, Ostern und das Weihnachtsfest.
Jetzt, wo Weihnachten so gut wie vor der Tür steht, ist ihm ganz mulmig zu
Mute. Er kann an nichts anderes denken, sodass selbst seine Schulnoten
darunter leiden mussten.

Vorige Nacht hat sich dieses Besorgnis in seine Träume eingeschlichen. Es
war ein entsetzlicher Albtraum! Er träumte, dass er während der
Bescherungszeit ins Wohnzimmer kam und in der hintersten Ecke nur eine Kerze
brennen sah. Ansonsten war kein Weihnachtsbaum, keine bunten Lichter und
kein Lametta zu sehen. Als Julian mit weit aufgerissenen Augen weiterhin in
die Dunkelheit starrte, konnte er die schemenhaften Umrisse seiner Eltern
entdecken. Er ging auf sie zu und konnte in ihre betrübten Gesichter
blicken. Seine Mutter schaute ihn an und ihre Stimme zitterte: “Es tut mir
leid Julian, aber dieses Weihnachten haben wir keine Geschenke für Dich.”
Als er das hörte, brach er in Tränen aus und rannte aus dem Wohnzimmer, aus
dem Haus und auf die Straße. Da war der Traum aus und Julian erwachte
schweißgebadet in seinem Bett. Was ein schrecklicher Traum! “Es ist langsam
ein Limit erreicht, dass nicht mehr zum Aushalten war”, musste er
feststellen. Doch wem sollte er sich mit seinem Problemen anvertrauen? Mit
seinen Eltern konnte er nicht darüber reden, da sie ihm sowieso nicht die
Wahrheit sagen würden. Sie haben immer alles beschönigt, auch wenn das
gröbste Disaster präsent war. Sie werden sagen, dass man sich überraschen
lassen sollte. “Und was ist, wenn es die größte Enttäuschung meines Lebens
wird”, dachte er. Könnte er in seinem Leben jemals wieder glücklich werden,
wenn man so ein Trauma durchleben muss? Seinen Freunden in der Schule wollte
er ebenso nichts erzählen. Dass sein Vater womöglich kaum Geld für ihn für
dieses Weihnachten haben könnte, darf niemand erfahren. Das würde ihn
absolut bloßstellen und es könnte etwas zu einigen unliebsamen Mobbern
durchsickern. Dann wäre er endgültig erledigt. Also blieb ihm nichts anderes
übrig, als weiterhin still vor sich hin zu leiden. Was ein armseliges Leben
er doch durchstehen musste!

Weihnachten rückte immer näher und um so schlimmer quälten ihn seine Sorgen.
Am Heiligabend hatte die Angst ihren Höhepunkt erreicht. Nun waren es nur
noch ein paar Stunden bis zur Bescherung. Für Julian war es unmöglich zu
Hause zu bleiben und in der Ungewissheit zu warten. Er war viel zu
aufgeregt. So schlenderte er stundenlang durch die Straßen und in der
Einkaufszone umher. Er schaute sich die dekorierten Schaufenster an und
versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Das war natürlich unmöglich, wenn
man überall geschmückte Tannenbäume und die vielen bunten Lichtern sieht,
die ihn daran erinnern, dass die Weihnachtszeit angebrochen war. Auf allen
Wegen waren die bekannten Weihnachtslieder zu hören, die sich in seinem Kopf
ansammelten und gleichzeitig abzuspielen schienen. Zu dem musikalischen
Kuddel-Muddel ging er in seinen Gedanken immer wieder seine
Weihnachts-Wunschliste durch. Das lief schon fast automatisch, ohne das er
sich dagegen wehren konnte. Es wäre ja schon ok, wenn er wenigstens einen
seiner Wünsche erfüllt bekäme, dachte er sich. Das würde ihn über das Jahr
hinwegtrösten und nächstes Weihnachten sähe es vielleicht wieder besser mit
den Finanzen seines Vaters aus.

Als er sich entschloss, von der Haupteinkaufsstraße links wieder Richtung
nachhause zu laufen, fing es plötzlich heftig an zu schneien. Die Flocken
wurden immer dichter und dicker, sodass ziemlich schnell eine weiße Schicht
alles eindeckte. Selbst die Straßenlaternen der Einbahnstraße verdunkelten
sich unter den enormen Schnemassen. Als am Ende der Gasse plötzlich ein
extrem starkes Licht auftauchte, sodass er nur noch blinzeln konnte, wusste
er noch nicht, was für ein außergewöhnliches Erlebnis ihn erwartete. Er war
überrascht, als er einen schwarzen Schlitten mit sechs dunkelbraunen
Rentieren erkennen konnte, der nahezu geräuschlos auf dem eben frisch
gefallenen Schnee glitt. Zu seinem Erstaunen saß ebenso ein Mann auf dem
Schlitten, der von seinem Aussehen her, dem Weihnachtsmann glich. Als der
Schlitten noch genau neben ihm anhielt, verschlug es ihm fast den Atem. Der
Mann mit dem weißen Bart sprach ihn an: ” Wie heißt Du denn, mein lieber
Junge?” Julian war nur in der Lage stotternd seinen Namen zu stammeln. “Was
wünscht Du Dir denn sehnlichst zu Weihnachten” , fragte ihn die tiefe,
liebevolle und warme Stimme des Mannes. “Ich hätte so gerne ein Laptop,
lieber Weihnachtsmann”, entgegnete ihm Julian und die Tränen standen ihm in
den Augen. “Na, so ein Zufall! Ich habe gerade noch ein Paket hier und ich
glaube, da ist bestimmt ein Laptop drin.” Julian musste sich kneifen, um
sicher zu sein, dass er nicht träumte, als ihm der Mann in Rot ein blaues
Paket überreichte. “Fröhliche Weihnachten, Julian.” Und schon setzte sich
der Schlitten in Bewegung und liess ihn in dem wilden Schneesturm zurück.
“Ja, fröhliche Weihnachten auch”, hauchte er leise und bemerkte, dass sein
Mund vor Verwunderung offen stand. Leichten Schrittes, wie auf Wolken,
schwebte er über den gefallenen Schnee, um seinen Nachhauseweg zu nehmen. Er
konnte es immer noch nicht fassen! War es der richtige Weihnachtsmann? Man
sagte ihm doch, es gäbe keinen Weihnachtsmann und nun dies. Er war total
durcheinander! Auf der anderen Seite aber überglücklich und die Tränen
kullerten ihm die Wangen herunter. “Das werden mir meine Eltern niemals
glauben.