22.Dezember

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Brad Schmidt und das fehlende Geschenk
Es war einmal ein nicht mehr ganz junger Mann, sagen wir mal so knapp über Mitte 30, der alles kannte, nur keine Selbstzweifel. Da er aber wusste, dass es – vor allem bei den Frauen – gut ankommt, sich selbst gelegentlich infrage zu stellen, täuschte er zuweilen vor, ein an den großen Menschheitsfragen – Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wer wird deutscher Meister? – verzweifelnder Softie zu sein, der nicht mehr weiß, ob das, was er tut, auch das Richtige sei. Aber nach jeder Prüfung seiner selbst, kam er immer wieder zu dem Schluss, dass er ein ganz toller Hecht sein muss – so perfekt, wie er war. Blendend aussehend, hyperintelligent, voller Witz und Esprit. Kurzum, der nicht mehr ganz so junge Mann hielt sich im Kern für eine Mischung aus Brad Pitt, Sir Ralf Dahrendorf und Harald Schmidt. Und der Einfachheit halber soll er im Folgenden daher auch Sir Brad Schmidt genannt werden oder noch besser: nur Brad Schmidt. Wer braucht heute noch Adel?
Nun kam aber der 16. Dezember, und Brad Schmidt stürzte in eine Krise. Entsetzt musste er, der sonst immer alles wusste – und dabei auch noch gut aussah –, an diesem Tag feststellen, dass es nur noch acht Tage bis Weihnachen waren und er noch nicht den blassesten Schimmer hatte, was er seiner Freundin schenken sollte. „Oh Gott, oh Gott”, dachte sich da Brad Schmidt. Warum muss gerade mir das passieren? Wo ich doch so schlau bin. Und so kreativ. Und dabei auch noch so gut aussehe. Drehen vielleicht meine Gene durch? Bin ich jetzt nicht mehr Brad Schmidt, sondern Ralf Pitt? Seh’ so aus wie Dahrendorf und bin so schlau wie Brad?
Brad Schmidt war so verzweifelt, dass er nicht mehr wusste, was er tat, und ohne Sinn und Ziel sein Altpapier durchstöberte, Und siehe, da erschien ihm die Fachzeitschrift ”Wirtschaftswoche”. In ihrer Ausgabe vom 30. November. „Fürchte Dich nicht”, sagte die Wirtschaftswoche. ”Denn es gibt jetzt Geschenke im Internet.
Unter www.youSmile.de findest Du die richtige Idee.“ Wie froh und glücklich der Brad da plötzlich war. Froh, dass irgendjemand die „Wiwo“ in seiner Yuppiebude vergessen hatte. Und glücklich, das er, wenn er schon keine eigene Idee hatte, bald eine fremde finden würde, die sich wunderbar als eigene verschenken ließe. „Ach”, sagte sich Brad Schmidt. „Wie gut, dass es doch das Internet gibt. Gäbe es es nicht, ich müsste es erfinden.”
Also setzte sich Brad Schmidt an seinen Computer und klickte sich auf die Seite, die ihn lächeln ließ. www.youSmile.de. Dort erschien alsbald das Ersehnte: ein „Ideenfinder”. Hier musste Brad zunächst ausfüllen, wer beschenkt werden soll, wie alt die zu Beschenkende ist, zu welchem Anlass geschenkt wird und wie viel er denn so auszugeben gedenke. Doch da kam Brad nun schon ins Trudeln. Wie hatte seine Freundin doch noch gesagt. „Ach Schatz, eigentlich ist es mir ja egal, was du mir schenkst. Hauptsache, es ist teuer und ein Brillant Die Kategorie „0-50 Mark” fiel also schon mal flach. Obwohl sich dahinter so schöne Sachen wie das Mousepad „Culto” mit den schwimmenden Herzen für 24,90 Mark verbarg oder der Fotorahmen „Hugo Trio” für 39,90 Mark. Auch die zweite Kategorie (50-1100 Mark) schien Brad Schmidt nicht angemessen, hatte er seine Freundin doch erst kürzlich, zu ihrem Geburtstag, mit jenem Duschvorhang mit dem idyllischen Alte-Frau-mit-Messer-in-der-Hand-Motiv aus „Psycho” überrascht, der nun für 79 Mark im Internet angeboten wurde. Na ja, ehrlich gesagt, kam das Geschenk damals schon nicht richtig an. Und auch zu Weihnachten dürfte die Begeisterung darüber begrenzt sein. Zwei Duschvorhänge machen halt noch keinen Brillanten.