[Elch] Petra und der Weihnachtwolf

von Andrea Schober

Es war einmal ein Mädchen, das hieß Petra und es war unheimlich frech.
Petras Eltern wussten oft nicht, was sie machen sollten, weil Petra eben
ihren eigenen Kopf hatte und sich fast nichts sagen ließ. Wenn ihre Eltern
sagten: „Petra, deck mal den Tisch!“, dann holte sie sämtliche Töpfe aus dem
Küchenschrank und stellte sie auf den Tisch. Wenn dann jemand schimpfte,
sagte sie einfach nur: „Ich weiß nicht, was ihr wollt, der Tisch ist gedeckt
und wenn euch das so nicht passt, müsst ihr es eben selber machen.“ Petra
hatte immer gute Ideen. Da es bis Weihnachten nicht mehr weit war, hatte sie
sich auch schon genau ausgedacht, was sie sich wünschte. Sie liebte Märchen
und ihr größter Wunsch war bereits seit längerer Zeit ein Haustier. Als
Petras Eltern sie dann eines Tages nach ihren Weihnachtswünschen fragten,
sagte Petra :“Ich habe dieses Jahr nur einen einzigen Wunsch und der ist
sehr wichtig. Ich habe schon einen Brief an den Weihnachtsmann und an das
Christkind geschrieben und ihr müsst ihnen diese Briefe unbedingt geben.“
Vater und Mutter schauten sich an und rätselten, was das wohl für ein Wunsch
sein könnte. Petra flüsterte ihren Eltern zu:
„Es ist der tollste Wunsch, den ich je hatte und er muss auch ein Geheimnis
bleiben. Ihr dürft ihn keinem anderen sagen, sonst geht er vielleicht nicht
in Erfüllung!“ Petras Eltern wunderten sich sehr über das geheimnisvolle
Reden ihrer Tochter. „Was ist es denn?“, fragte der Vater. Petra machte
wieder dieses ernste, geheimnisvolle Gesicht und sagte dann „Ich wünsche mir
einen Wolf, einen echten Wolf, kein Kuscheltier, sondern richtig lebendig
muss er sein!“ „Aber…aber das geht doch gar nicht!“, sagte die Mutter
verwirrt. „Du bist verrückt, Petra!“, sagte ihr Vater. Aber Petra ließ sich
nicht beirren: „Zu Weihnachten hat jedes Kind einen Wunsch frei, sonst
brauchen wir dieses Jahr gar kein Weihnachten zu feiern!“ Petras Eltern
waren ratlos. „Dieses Kind hat immer die unmöglichsten Ideen, von wem hat
sie das nur?“ meinte der Vater. „Von mir nicht!“, entgegnete sogleich die
Mutter. Sie malte sich schon ein sehr trauriges Weihnachtsfest aus mit einem
enttäuschten Kind. “Petra redet kein Wort mehr mit uns!“, sagte die Mutter.
Und der Vater erwiderte: “Sie wird einmal lernen müssen, dass sie ihren Kopf
nicht immer durchsetzen kann und wenn es sein muss, dann eben auch an
Weihnachten!“.
Petra war in den kommenden Tagen sehr fröhlich und aufgeregt. Sie war der
festen Überzeugung, dass ihr Wunsch nun in Erfüllung gehen musste. Sie
tanzte durchs Haus und sang Weihnachtslieder. „Einen Wolf, wie bei
Rotkäppchen und den sieben Geißlein werde ich bekommen“, dachte sie immer
wieder und „Ich werde mit ihm spazieren und zur Schule gehen. Das wird
super. Dann bin ich die Coolste in meiner Klasse!“. Die Eltern waren dagegen
sehr nachdenklich, wussten sie doch nicht, wie sie dem Weihnachtsdisaster
entkommen konnten. Sie dachten nach, aber ihnen fiel nichts ein. Weihnachten
kam näher und plötzlich hatte der Vater eine Idee.
Zu seiner Frau sagte er „Petra wird ihren Wunsch bekommen!“„Was?“, fragte
die Mutter „bist Du jetzt auch schon ganz durchgeknallt? Du kannst doch
nicht allen Ernstes…!“ „Doch, ich kann!“, sagte der Vater, „den Wunsch
unserer Tochter noch einmal erfüllen. Aber nur weil Weihnachten ist! Lass
mich nur machen!“. In den nächsten Tagen war der Vater sehr beschäftigt. Er
werkelte und hämmerte draußen, deckte jedoch alles immer zu, so dass niemand
wusste, was er da eigentlich tat. Die Mutter fragte sich immer wieder, was
da vor sich ging und wieso Petras Vater plötzlich die Anschaffung eines
Wolfes befürworten konnte. Sicher baute er schon einen Käfig für den Wolf.
Vielleicht sollte es ja auch nur über Weihnachten hier leben. Was für
Gedanken: Weihnachten mit Wolf oder ohne Wolf. Sie wusste eigentlich gar
nicht, was schlimmer wäre.
Weihnachten kam heran und der Vater fuhr öfters mit dem Auto weg als sonst.
Petra hockte heimlich hinter den Fensterscheiben und versuchte bei seiner
Heimkehr zu erkennen, ob er vielleicht einen Wolf im Auto hätte oder dieser
schon draußen herumlief. Aber sie konnte nichts sehen. Die Spannung bei
Mutter und Tochter wuchs bis zum Heiligen Abend ins Unermessliche. Dann war
es endlich so weit.
Der Vormittag verging langsam und Petra wurde immer unruhiger. „Wann ist es
endlich so weit, wann ist Bescherung?“, fragte sie ständig die Mutter.
“Bald!“ antwortete diese nur noch genervt.
Dann sagte Petra plötzlich: “Kannst Du mir bitte noch einmal das Märchen von
Rotkäppchen vorlesen?“ Die Mutter war froh, denn sie hoffte eine
Beschäftigung zu finden, die Petra für eine Weile ruhiger werden ließ. Wenn
das Thema ihr auch nicht behagte.
So fing sie an, Petra das Märchen vorzulesen. Als die Stelle kam, wo der
Wolf die Großmutter auffraß und hinterher auch Rotkäppchen, schaute Petra
plötzlich etwas besorgt aus. „Frisst ein Wolf wirklich Kinder?“, fragte sie
ihre Mutter. „Normalerweise nicht!“, sagte die Mutter, „Aber normalerweise
lebt ein Wolf auch draußen im Wald, wo es keine Menschen in der Nähe gibt.
Es ist schließlich ein wildes Tier. Ich weiß nicht, was ein Wolf macht, wenn
er plötzlich in unserem Wohnzimmer herumläuft, das hat wohl kaum jemand
schon ausprobiert!“. Petra sieht ihre Mutter mit großen Augen an. „Er wird
mich doch nicht fressen wollen?“, fragte sie nun etwas ängstlich, „Ihr passt
doch auf mich auf, nicht wahr?“ Die Mutter zuckte mit den Schultern: „
Natürlich passen wir auf dich auf, aber ein Wolf hat scharfe Zähne und ich
hoffe, dein Papa weiß, wie er ihn beaufsichtigen muß!“. „Hast Du Angst, wenn
der Wolf gleich kommt“, fragte Petra weiter. „Oh ja!“, sagte die Mutter,
„ich fürchte mich schon sehr vor Wölfen, besonders wenn einer in unser Haus
kommt“. Petra war sich plötzlich ihres Wunsches nicht mehr so sicher.
„Hoffentlich frisst er nicht meine Mama auf“, dachte sie und wurde wieder
unruhig. „Vielleicht hätte ich mir doch besser etwas anderes gewünscht“,
meinte sie so zu sich selbst. Doch dafür war es nun zu spät.

Es klingelte an der Tür. Die Mutter sagte: “Jetzt kommt der Weihnachtsmann.
Ich lasse ihn mal ins Wohnzimmer hinein. Du bleibst hier in der Küche.“
Petra hockte sich in die Küchenecke. Sie merkte, dass sie vor Angst etwas
zitterte. Sie lauschte ganz genau, was sich im Flur und im Wohnzimmer
abspielte. Sie konnte außer ein paar Schritten jedoch nichts hören. “Zum
Glück“, dachte Petra „ist meiner Mami nichts passiert, sonst hätte sie ja
geschrien!“ Sie atmete erleichtert auf, als nach einer Weile die Mutter
wieder in die Küche kam. Kurz darauf kam auch der Vater und rief: „Der
Weihnachtsmann war da. Es gibt jetzt eine große Bescherung!“ Petra schaute
ihn unsicher an und fragte ihren Vater: „Papa frisst der Wolf mich auch
nicht auf, oder die Mama oder dich?“ Der Vater zuckte mit den Schultern und
meinte nur: “Ich hoffe nicht! Den Weihnachtsmann hat er zumindest nicht
gefressen!“ Petra wollte, dass der Papa sie in seinen Armen ins Wohnzimmer
trägt, aber ihr Vater sagt: „Das geht nicht! Deinen Weihnachtswunsch musst
du dir schon selbst abholen!“. Dann fragte er Petra: “Wie sieht denn
eigentlich ein Wolf aus?“. Petras Stimme zitterte: „Wie ein Hund halt, mit
spitzen Ohren und großem Maul“.

Dann öffnete der Vater die Tür zum Wohnzimmer. Petras Herz hörte fast auf zu
schlagen. Als sie ins Zimmer trat, sprang etwas an ihren Beinen hoch. Petra
schrie vor Schreck. Doch dann passierte weiter nichts. Als sie genauer
hinschaute, sah sie einen kleinen Hund mit weißem Fell, der sich freute,
dass jemand ins Zimmer kam. Er hatte spitze Ohren und für seine Größe auch
eine passend große Schnauze.
„Ist der süß!“, rief Petra erleichtert, „Ist das ein echter Wolf?“ Der Vater
zwinkerte ihr mit einem Auge zu und sprach: „Natürlich! So echt wie du ihn
dir wirklich gewünscht hast!“ „Und was hast du da draußen die ganze Zeit
gebaut?“, fragte die Mutter.
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