Reisen als Sehbehinderter – ein Erfahrungsbericht

Wer kennt das nicht: Man muss auf ein Seminar oder möchte einfach zu einem Konzert? Ein Sehender würde jetzt mal kurz vorher gucken, welche Bahn denn kommt und schaut während der Bahnfahrt auf Google Maps nach dem Fußweg. Wenn man blind oder sehbehindert ist, ist man dahingehend nicht so flexibel. Natürlich kann man einfach drauflos fahren und hoffen, dass an der Bushaltestelle jemand steht, der einem den Weg zu seinem Ziel erklärt, aber wer nicht so risikofreudig ist, muss sich einer gewissen Vorbereitung bedienen.

Ich muss zu einem Seminar von der Pro Retina in eine Stadt, in der ich mich absolut nicht auskenne. Zuerst muss ich mir meine Verbindung heraussuchen. Dafür benutze ich die App „DB-Navigator“ – übrigens eine App, die auch von Sehenden gerne genutzt wird. Erste Frage.: Muss ich umsteigen? Wenn ja, wo? Sollte ich eine Umstiegshilfe, z. B. den DB-Service oder die Bahnhofsmission, zur Unterstützung hinzuziehen?

In meinem Fall waren zumindest diese Aspekte unrelevant, ich musste nämlich nicht umsteigen. Und so habe ich mich am Seminartag mit meinem Rucksack auf den Bahnsteig begeben (man kann natürlich auch mit Koffer reisen, allerdings würde ich das nicht empfehlen, weil man dann mit Blindenstock und so weiter in der Regel keine Hände mehr frei hat. Außerdem ist man auch bei den Treppen im Bahnhof und in den engen Gängen im Zug nicht so mobil).

Schließlich fuhr der Zug ein. Aber wo war die Tür? Zum Glück habe ich noch einen Sehrest und konnte die Tür noch erkennen. Aber was hätte ein Blinder in dieser Situation gemacht? Er hätte entweder am Zug entlanglaufen und mit dem Stock dagegenklopfen müssen, bis er die Tür findet (die Tür klingt dumpfer als die übliche Zugwand) oder – das wäre effektiver – es wäre jemand am Bahnsteig, der hilfsbereit ist. Bei meiner Fahrt bemerkte der Schaffner meinen Stock und kam mir prompt zu Hilfe.

Nächste Herausforderung: Sitzplatz suchen. Dafür bin ich einfach von Sitz zu Sitz
gegangen und habe gefragt, ob da noch Platz ist. Meistens (nicht immer…) kommt auch eine Antwort, und viele Menschen sind sehr hilfsbereit, zeigen mir einen freien Platz oder stehen selbst auf.

In Paderborn angekommen, habe ich mich am Bahnhof bis zum Taxistand durchgefragt. An größeren Bahnhöfen wie hier gibt es viele Varianten, um sich als blinde Person zu behelfen, und häufig kommt man an solchen Orten theoretisch sogar ohne angemeldete Umstiegshilfe zurecht, weil man genug Passanten findet. Auch in meinem Fall war es ein Passant, der mich zum Taxistand führte.

Das Taxi ist eine kostspielige, aber für Blinde je nach dem eine gute Sache. Eine Taxifahrt muss man nicht groß vorbereiten und die meisten Taxifahrer, die ich bislang kennengelernt habe, waren sehr aufgeschlossen gegenüber meiner Sehbehinderung. Dieser hat mich beim Hotel sogar noch bis zum Infopunkt gebracht – wo ich ohne Taxi sicher nicht so schnell und unkompliziert angekommen wäre.

Am Infopunkt habe ich mich vorgestellt und gefragt, ob ich gemeldet bin. Man hat mich auch gleich in der Teilnehmerliste gefunden und mir einen Zettel zum Ausfüllen gegeben. Einmal mehr bekam ich Dank guter Kommunikation beim Lesen und Schreiben Unterstützung und wurde danach zu meinem Zimmer geführt. Man zeigte mir sogar in meinem Zimmer die wichtigsten Dinge und gab mir einen guten Eindruck von meiner Umgebung, sodass mir das Zurechtfinden sehr leicht fiel.

Kommunikation ist das A und O beim Reisen, wie in vielen Bereichen des Alltags. Etwas Mut und Organisationsgeschick gehören sicher auch dazu. Aber das Gefühl, unabhängig und frei zu sein, ist sehr schön und macht einen irgendwie auch stolz. Dennoch habe ich mich nach dem Seminar von meinem Vater abholen lassen – manchmal darf man es sich ja auch mal einfach machen.